Teil 2: Manuelle Therapie, die klassische Physiotherapie auf der Behandlungsbank
Die manuelle Therapie ist wahrscheinlich die häufigste Therapieform in der Physiotherapie. Vor Allem in der orthopädischen Rehabilitation nach Unfällen oder Operationen ist die Wiederherstellung der Beweglichkeit oft das um und auf der Therapie. Doch auch die umliegenden Strukturen bedürfen einer ausgiebigen Behandlung.
Die Manelle Therapie erfordert exakte Kenntnisse über die Anatomie des Körpers, die Funktion von Gelenken, der gesamten Muskulatur, des betroffenen Nervensystems und der Organzugehörigkeit. Bei der Therapie werden nicht nur die Funktionseinschränkungen betroffener Gelenke behandelt, sonder auch die umgebende Muskulatur, umliegende Gelenke und das Nervensystem. Die Techniken der Manuellen Therapie reichen von schmerzlindernden Maßnahmen, die bei sehr schmerzhaften Gelenken zum Einsatz kommen, bis zur gelenkspezifischen Mobilisation, um bewegungseingeschränkte Gelenke wieder normal beweglich zu machen. Der Patient muss aktiv in den Übungsprozess eingebunden werden und lernen, mit dem neu gewonnenem Bewegungsausmaß umzugehen.
Als Erstes wird ein ausgiebiger Befund des Patienten erstellt, damit sich der Therapeut ein genaues Bild von den Problemen machen kann. In diesem Befund geben gezielte Fragen über die Art des Problems, die Intensität, die Geschichte, die Lokalisation oder die eingeschränkten Bewegungen Aufschluss über eine mögliche Ursache. Diese „Hypothese“ wird dann durch verschiedene Tests und Bewegungsversuche gefestigt oder widerlegt. Wenn der Therapeut auf ein Ergebniss gekommen ist wird eine Behandlung durchgeführt. Ein so genannter „Re-Test“ zeigt dann den Erfolg der Behandlung auf. In den nächsten Stunden werden immer mehrere umliegende Strukturen in die Behandlung mit aufgenommen, da diese auch einen großen Einfluss auf das aktuelle Problem haben können. Durch verschiedene Übungen, die der Patient zum Teil auch selbstständig zu Hause durchführen soll, werden die Erfolge der Therapie weiter gefestigt und der Patient lernt, die neu gewonnene Bewegungsfreiheit auch umzusetzen.
Am Beispiel eines Patienten mit einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung im Schulterbereich möchte ich Ihnen jetzt aufzeigen, wie komplex eine Behandlung sein kann:
Der Patient kam zu mir mit dem Problem, dass er den rechten Arm nicht mehr über die Höhe der Schulter hinaus heben konnte. Er beschrieb mir einen Schmerz im vorderen, oberen Bereich der Schulter. Ich klärte Anfangs ab, dass es sich dabei nicht um einen Unfall gehandelt hat und dass es über die letzten Jahre immer schlimmer wurde, bis er endlich zum Arzt ging. Nachdem ich so genannte Sicherheitsfragen abgeklärt habe (um Erkrankungen auszuschließen, die die sofortige Beendigung der Therapie und eine ärztliche Abklärung bedürfen) ließ ich mir die Bewegungen zeigen, die der Patient nicht mehr durchführen konnte. Diese Bewegung diente mir später unter Anderem als Re-Test, somit notierte ich diese genau. Dies war das Heben des Arms nach vorne und auch zur Seite. Durch die Beurteilung der Gelenkbeweglichkeit und der Frage, ob es eher in der Früh auftrat oder kontinuierlich über den Tag verteilt vorhanden war, bzw. ob es mit der Bewegung besser wurde, konnte ich einen möglichen Gelenkverschleiß eher ausschließen. Nach ein paar Tests für die Beweglichkeit der Nerven in diesem Gebiet war auch die Beteiligung der Halswirbelsäule und der Nerven eher gering. Ich versuchte nun das Gelenk passiv zu bewegen und verstärkte den Druck während der Bewegung auf die verschiedenen Anteile des Gelenks. Somit konnte ich ziemlich gut rausfinden, dass es sich um eine Einklemmung der Strukturen oberhalb des Schulterkopfes handeln musste. Dies ist mit Hilfe der manuellen Therapie sehr gut behandelbar. Die erste Wahl der Therapie war ein so genanntes „Caudalgleiten“ des Schulterkopfes. Dabei wird versucht durch Mobilisation des Oberarms nach fußwärts (gegenüber der Schulter) die Einengung zu verrigern. Nach ein paar Minuten der Therapie ersuchte ich den Patienten die Bewegung von vorhin nocheinmal durchzuführen und er konnte über eine Besserung der Schmerzen berichten. Auch ein vergrößertes Bewegungsausmaß konnte ich feststellen. Nach dem ich den Patienten noch über mögliche Reaktionen aufgeklärt hatte, konnte ich die Sitzung zufrieden beenden. In den nächsten Tagen wurde die Therapie weiter fortgesetzt und um Muskeldehnungen, Mobilisation von umliegenden Gelenken und Übungen erweitert. Nach 10 Behandlungen konnte der Patient die Bewegungen wieder wesentlich schmerzfreier durchführen und auch das Bewegungsausmaß war schon besser. Leider sind durch die lange Zeit, die der Patient gewartet hat, bis er zum Arzt ging, noch weitere Therapieeinheiten nötig, bis der Patient völlig schmerzfrei und wieder beweglich ist. Aber wir sind auf einem guten Weg…